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Caspar Johannes WalterCaspar Johannes Walter, geb. 1964 in Frankfurt/Main, hatte Kompositionsunterricht bei V. D. Kirchner (Wiesbaden), J. Fritsch und C. Barlow (Musikhochschule Köln, 1985-90). 1985 war er Mitbegründer des Kölner Thürmchen Verlages. Er erhielt eine Reihe bedeutender Kompositionspreise und Stipendien; die vom Deutschen Musikrat bei Wergo herausgegebene Portrait-CD mit Kammermusik von Caspar Johannes Walter erhielt 1998 den Preis der deutschen Schallplattenkritik. Sein Interesse als Interpret - er ist Cellist in dem 1991 von ihm mitbegründeten Thürmchen Ensemble - gilt vor allem jüngeren Komponistinnen und Komponisten aus den Bereichen der experimentellen Musik und des Musiktheaters. 2002/2003 war Caspar Johannes Walter composer in residence und Kompositionslehrer an der University of Birmingham, und seit 2006 ist er Professor für Komposition an der Musikhochschule Stuttgart. LuftspiegelungLuftspiegelung entstand 2001 als Auftrag des Schlagquartett Köln und wurde von diesem im gleichen Jahr in Stuttgart uraufgeführt. Es hat mich gereizt, die geräuschhaft/körperlichen Töne vieler Schlagzeuginstrumente (z.B. geblasene Flaschen oder geriebene Töne von Superbällen) in mikrotonale Intonationsstrukturen zu integrieren. Ich wollte, dass auch spekulativ verfeinerte Harmonien ein menschliches und rauhes Klanggesicht haben können. Harmonisch ging es mir oft darum, rein obertönige Konstellationen durch meistens kleinste Glissandi mit deren Spiegelungen (dieses sind dann untertönige Konstrukte) zu verbinden und alles in eine weitläufige Bewegung einzubinden. Durch die partielle Untertönigkeit wird z.B. die reine Mollterz in die Obertonwelt eingeführt. Da es sich um Prozesse handelt, die oft nur in Cents (Hundertstel eines Halbtons) darstellbar sind, habe ich den geräuschhaft/körperlichen Tönen vier präzise Sinusgeneratoren zur Seite gestellt, die je von einem Schlagzeuger eingestellt und über Megaphone verstärkt werden. Deren körperlosen Töne stabilisieren das Intonationsgeflecht. Die gestrichenen Töne von Vibraphon, Crotali und Glockenspiel verbinden die körperlosen mit den geräuschhaft/körperlichen Tönen. Uraufführung am 27. April 2001 in Stuttgart, Schlagquartett Köln Zeichnung (2004) für Solovioline, Schlagquartett und OrchesterVersenkung ins Innerste Ein Konzert des Leonardo-Quartetts 1983 in Darmstadt mit Musik von Ivan
Wyschnegradsky öffnete Caspar Johannes Walter - noch vor seinem Studium
bei Johannes Fritsch und Clarence Barlow in Köln - die Ohren für die eigentümliche
Intensität mikrotonaler Klangwelten. Inspiriert von dem amerikanischen
Experimentator Harry Partch, baute Walter zu dieser Zeit zwar bereits
selbst Schlaginstrumente mit Teilungen der Oktave in 44 Töne, doch das
Ausdruckspotenzial vierteltöniger Strukturen, realisiert auf gewöhnlichen
Orchesterinstrumenten, zog ihn in den Bann und ließ ihn bis heute nicht
los: In fast sämtlichen seiner Werke ab dem Ersten Streichtrio (1983)
spielt Mikrotonalität eine mehr oder weniger große Rolle. Somit bewegt
sich Walter auf einem - durchaus produktiven - Seitenweg der zeitgenössischen
Musik; denn obwohl die Mikrotonalität seit der frühen Moderne auch im
Abendland eine gewisse Akzeptanz genießt, schwingt der Hauch des Abseitigen
und Apokryphen stets mit. Während sie im arabischen und asiatischen Raum
traditionell tief verwurzelt ist, definiert sie sich in Europa, darin
dem “Geräusch" vergleichbar, nach wie vor aus der Negation heraus. Auf
der Folie des dominierenden, auf Halbtönen basierenden temperierten Tonsystems
steht Mikrotonalität in erster Linie für “Fremdheit" und “Verfremdung",
aber auch - im übertragenen Sinn - für extreme Verdichtung existenzieller
Zustände und spiritueller Dimensionen (so bei Giacinto Scelsi). Beide
Aspekte, “Fremdheit" und Erschließung seelischer Innenräume, korrespondieren
nicht nur miteinander, sondern auch und vor allem mit dem zeit- und kulturgeschichtlichen
Phänomen des Wandels zur Moderne - einem Wandel voller umwälzender und
oft genug als bedrängend empfundener gesellschaftlicher, sozialer und
wahrnehmungsspezifischer (schnellere Verkehrsmittel und neue Medien) Veränderungen.
Im Zuge dieses Prozesses, der alle Künste erfasste, reihten sich Experimente
mit Mikrotönen in die Phalanx jener Kräfte ein, die auf dem Feld der Musik
nach neuen, hochgradig ausdifferenzierten und die Zeichen ihrer Zeit -
bewusst oder unbewusst - transformierenden Ausdrucksformen strebten. Wichtige
“Mikrotöner" waren etwa der Tscheche Alois Hába, der solcherart seiner
Versenkung in die anthroposophische Lehre Rudolf Steiners Ausdruck verlieh,
der Italiener Ferruccio Busoni, dessen Entwurf einer neuen Ästhetik der
Tonkunst auch Dritteltöne einbezog, der Mexikaner Trujillo Carillo, den
seit 1895 diverse Teilungen der Oktave in mehr als 12 Töne beschäftigten,
und eben der Russe Ivan Wyschnegradsky, der in tiefer Reflexion fernöstlicher
Philosophie zu seiner “ultrachromatischen Synthese" (mit Zwölftel-, Sechstel-,
Viertel- und Dritteltönen) fand. Nicht anders ist es bei Komponisten unserer
Tage: Gerät Mikrotonalität zum konzeptuellen Bestandteil ihres musikalischen
Denkens, sind grundlegende Motive ihres Schaffens oder mindestens maßgebliche
“programmatische" Intentionen berührt - sei es, dass sie, wie bei Klaus
Huber, interkulturellen Austausch symbolisiert, oder, so im Falle von
György Ligetis Klangflächenkompositionen, an einem kritischen Punkt der
Entwicklung (die Auseinandersetzung mir der seriellen Musik) neue Wege
aufzeigt. Uraufführung am 12. Juni 2004 in München, A. Daskalakis, Schlagquartett Köln, Orchester des Bayerischen Rundfunks, Leitung: S.Edwards Interferenzen (2010/11)Dass das Klavier dem Wesen nach ein Schlaginstrument ist, weiß jeder, der einmal einen Blick ins Innere des Instruments geworfen hat: Mittels einer Taste schlägt man mit einem mechanischen Hämmerchen auf eine Saite. Wird die Taste losgelassen, wird der Schlag sofort gedämpft. Durch das Treten eines Pedals kann das Schwingen der Saite verlängert werden. Doch wie bei jedem Schlaginstrument zeigt auch der Klavierton eine stets abnehmende Lautstärke – und wie jedes Schlaginstrument gerät ein Körper in Vibration. Ist für viele Pianisten die wahre Herausforderung das Singen mit den Tasten, so haben viele Komponisten des 20. Jahrhunderts das Klavier als Schlaginstrument entdeckt. Dennoch dürfte Caspar Johannes Walter neues Stück Interferenzen eines der ersten seiner Art sein: ein Schlagquartett, das sich im Inneren eines Konzertflügels abspielt. In seiner Komposition macht sich Walter das zwitterhafte Wesen des Flügels zunutze, der nicht nur Schlaginstrument, sondern zugleich auch Saiteninstrument ist: Neben seltenen, herkömmlich erzeugten Klaviertönen werden die Klaviersaiten mit Steeldrumschlegeln angeschlagen, es werden Flageoletts erzeugt, die man vor allem von Streichinstrumenten kennt. Flageoletttöne entstehen, wenn ein Finger einen Knotenpunkt auf der Klaviersaite berührt und diese (mit der Taste, einem Fingerpizzikato oder mit einem Schlegel) gespielt wird. Abhängig von der Position des Berührungspunktes erklingt ein Oberton. „Diese Technik“, so der Komponist, „ergibt einen reizvollen, ätherischen Klang. Besonders interessant für mich ist die Tatsache, dass die Intonation der Flageoletts deutlich mikrotonal sein kann, z.B. wenn man die Knotenpunkte des 7. oder 11. Obertons berührt.“ Mikrotonalität – also Tonhöhen und Tonabstände, die außerhalb der heute in Westeuropa üblichen zwölftönigen temperierten Stimmung liegen – sind bereits seit längerer Zeit ein Forschungsschwerpunkt von Caspar Johannes Walter. Ob in Auseinandersetzung mit mitteltönigen Stimmungen – angeregt durch die Beschäftigung mit Gesualdo –, reinen Stimmungen oder dem Schwebungsreichtum der Obertonwelten hat Caspar Johannes Walter in den vergangenen Jahren über die physikalisch-akustische Beschäftigung mit mikrotonalen Phänomenen zu neuen Werken gefunden. Im Falle von Interferenzen sind es insbesondere Flageolettmehrklänge, die den Komponisten fasziniert haben. „Ähnlich den Mehrklängen bei den Blasinstrumenten – wo durch spezielle Griffe und veränderte Anblastechniken statt einem Ton Klangkomplexe aus mehreren Tönen erzeugt werden – liegt auch beim Klavier eine im Kern instabile Situation vor: Die Saite wird so angeregt, dass sie sich nicht für einen Ton entscheiden kann. Die Spieltechnik ist die gleiche wie bei den Flageoletts, nur berührt der Finger nicht einen Knotenpunkt, um ein einfaches Flageolett zu erzeugen, sondern einen Punkt, der zwischen verschiedenen solchen Knotenpunkten liegt. So ertönt ein Klang, in dem deutlich die verschiedenen Obertöne hörbar sind, die zu den umliegenden Knotenpunkten gehören.“ Mithilfe einfacher mathematischer Prinzipien sind die Berührungspunkte dieser Mehrklänge einfach zu errechnen. Da sie jedoch genau getroffen werden müssen, hat der Komponist zunächst eine neue Mechanik konstruiert, die der Mechanik des Klaviers übergestülpt wird und die den Interpreten das Finden der Punkte erleichtert: In einem Aufsatz auf den Klavierrahmen sind auf verschiebbaren Reitern Gummis gespannt, auf denen alle notwendigen Markierungen angebracht sind. Der berührende Finger drückt leicht das Gummi an der markierten Stelle auf die Saite. Beim Zusammenspiel der Mehrklangsakkorde, die Walter komponiert, entstehen „Schwebungen“ – gewissermaßen akustische „Störungen“ die entstehen, wenn die Obertöne von zwei Akkorden leicht voneinander verschieden sind. „Im Phänomen der Schwebung wird Tonhöhe zum Rhythmus; die Vibration, die zwischen zwei sehr ähnlichen Tonhöhen entsteht, ist der Prototyp einer Tonrepetition.“ Auf solche Vibrationen gründet Walter nun die rhythmische Struktur seiner Komposition. „Durch Tonwiederholungen, Repetitionen in verschiedenen Geschwindigkeiten wird das Phänomen des vibrierenden, schwebenden Klanges noch verstärkt und verdeutlicht. Der Aufbau der Mehrklangsakkorde steht in enger Verbindung zu den Tempi der Repetitionen; die Konsonanzen und Dissonanzen dieser Akkorde artikulieren sich über einfache und komplexe Tempobeziehungen zwischen den Tonrepetitionen.“ Als Analogie zu den Tonhöhenschwebungen komponierte Walter „rhythmische Schwebungen“: ein Nebeneinander von fast gleich schnellen Tonrepetitionen, die wie eine Phasenverschiebung wirken. „Das Stück sucht eine Balance von Statik und Dynamik, indem diese rhythmische Arbeit meistens als innere Bewegung eines von Außen betrachtet eher ruhigen Klanges stattfindet.“ Auf dieser Ebene sieht Caspar Johannes Walter ein vernachlässigtes Feld der westeuropäischen Musik. „Unsere Kultur hat die Differenzierung von Tonhöhen, Intervallen und Harmonien zu höchsten Höhen geführt, in der Rhythmik und in Bezug auf Tempodifferenzierung sind wir bei weitem weniger entwickelt. Ich verwende Rhythmen und Tempi so, wie andere Tonhöhen und Harmonien. Eine wunderbare Gemeinsamkeit beider Welten ist, dass sie sich in ihrer höchsten Abstraktion auf Zahlen zurückführen lassen. Konsonanz und Dissonanz entsprechen einfacheren und komplexeren Zahlenverhältnissen zwischen den Frequenzen der beteiligten Tonhöhen. Diese Zahlenverhältnisse lassen sich vollständig auf die Rhythmus/Tempo-Dimension übertragen. Und auch hier erzeugen bestimmte kompliziertere Zahlenverhältnisse Dissonanzen in dem Sinn, dass eine Spannung spürbar ist, die eine Auflösung der Spannung zu einem späteren Zeitpunkt erwarten lässt. Dies entspricht genau einem der wichtigsten Elemente von Zusammenhang im Bereich der Harmonie. Wenn in einen zeitlosen Entspannungszustand der Konsonanz die Anspannung einer Dissonanz gesetzt wird, entsteht Energie und damit ein Impuls zu Bewegung und Form.“ (Text: Patrick Hahn) Uraufführung am 17. Februar 2011 in Köln, Schlagquartett Köln
mehr Informationen über Caspar Johannes Walter: www.thuermchen.de |
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| von HYPERWERK 2002 |
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